Der SchluchtClan
»Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum«

☆Die endlose Düsternis

Die endlose Düsternis
~Wüstenstern 


Ich rannte so schnell wie mich meine Füße tragen konnten. Ich wollte weg. Einfach nur weg. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, aber weinen tat ich nicht. Oh nein, das kam gar nicht in Frage. Ich stolperte weiter, die vom blassen Licht der Straßenlaternen beleuchtete Straße entlang, immer weiter geradeaus. Trotz des Mondscheins schien die Umgebung wie von Finsternis umhüllt. Eine endlose, kalte Finsternis, die sich bis zum Horizont ausdehnte, mich gefangen hielt und nie mehr loslassen wollte. Aber die innere Finsternis war größer. Und das spürte ich. Das Gefühl war so stark, dass es schmerzte. Aber meine Beine trugen mich weiter, ich beschleunigte mein Tempo, weil mein Instinkt mir sagte, dass ich mein Ziel bald erreichen würde. Was für ein Ziel? Ich habe kein Ziel. Dieser Gedanke breitete sich in meinem Kopf aus, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. 
Plötzlich kam ich ins Stolpern. Einfach so. Es war kein Stein, kein Ast oder sonst was im Weg, aber ich stolperte trotzdem. Mit einem dumpfen Geräusch fiel ich auf den Boden. Eine Moment lang rührte ich mich nicht, lag einfach nur da. Es schien, als würde mein Atem alles übertönen. Aber das war mir gleich. Ich schloss die Augen und sah die ganze Szene wieder vor mir. Mein Vater, wie er im Bett lag, sterbenskrank. Meine Mutter, wie sie sich über ihn beugte und weinte was das Zeug hält. Und mich sah ich auch, wie ich in der Ecke stand und nichts tat. 
Das raue Husten meines Vaters.
Und das Jammern und Klagen meiner Mutter. 
Das Heulen des Windes.
Das Läuten der Mitternachtsglocke. 
Und dann, ganz plötzlich, war alles still. Das Husten verstummte. Meine Mutter erstarrte und blickte auf den schlaffen Körper, der im Bett vor ihr lag. Ich war entsetzt, wie versteinert. 
"Das ist alles deine Schuld!", heulte meine Mutter und ich zuckte zusammen, als sie mit bloßem Finger auf mich zeigte. 
"Aber...ich...ich...habe doch nichts getan...!", brachte ich hervor. Jedes einzelne Wort war ein Kampf.
"Das ist es ja! Du tust nie was! Du bist zu nichts zu gebrauchen!", schrie meine Mutter und versetzte mir einen Schlag. Einen Schlag, der so heftig war, dass ich vor Schmerz zurückwich und mich klein machte. Feiges Ei..., sagte ich zu mir. Dann drehte ich mich um und rannte davon. Ich hörte noch wie meine Mutter mir Schimpfwörter nach rief, bevor ich in der düsteren Nacht verschwand. 

An das dachte ich, während ich da lag. Stetig prasselte Regen auf mich herab, doch dies nahm ich kaum wahr. Mein Herz raste. Dennoch schaffte ich es, mich aufzurichten. Ich blinzelte und sah mich in der kalten und dunklen Gegend um. Gelegentlich düste ein Auto an mir vorbei, doch das bemerkte ich nicht. Mein Vater war ein guter Mensch gewesen. Er war der einzige, der mich verstehen konnte. Ich seufze leise und versuchte die ganze Sache aus meinem Kopf zu kriegen. Ich sehnte mich nach meinem warmen Bett. Aber ich wollte nicht mehr umkehren. Eine Stimme in mir sagte mir, dass ich woanders hingehörte. Sollte ich auf sie hören?

Als ich meine Augen aufschlug stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Ich hatte also ziemlich lange geschlafen. Ich gähnte ausgiebig und rappelte mich mühsam auf die Beine. Die Straße stand still, kein Auto weit und breit. Das wunderte mich ein wenig. Ich ging ein paar Schritte und stellte fest, dass die Schmerzen größer geworden waren, sowohl die körperlichen als auch die geistlichen. Langsam trottete ich voran, die Hitze der Sonne machte mir zu schaffen. Ich sah mich mit trüben Augen um und fühlte mich einsam. Auf einmal spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich wirbelte herum und erblickte einen alten Mann mit einem Gehstock. "Komm, mein Junge. Ich zeige dir etwas", krächzte er mit alter Stimme. Ich trat ein paar Schritte zurück und funkelte ihn an. Mein Blick sagte schon alles. Was willst du von mir? 
Aber der Alte gab nicht auf. "Komm mit!", beharrte er und sein ernster Blick jagte mir Angst ein, die ich aber nicht zeigte. Stöhnend kam der Mann auf mich zu, packte mich am Arm und zog mich mit. Ich brüllte um mein Leben, bis meine Lungen schmerzten und versuchte mich zu wehren, konnte dem Alten aber nicht wehtun. Schließlich gab ich es auf und verstummte. Der Fremde brachte mich zu einer kleinen Hütte im Wald. Ich sah ihn an, als wäre er vom Mond. "Was soll das?", schnaubte ich. "Warum hast du mich hier her gebracht?"
Der Alte schaute mich an und irgendwas in seinem Blick sorgte dafür, dass ich das ganze Misstrauen verlor.

Ohne auch nur ein Wort zu wechseln betraten wir die Hütte. Unbehagen breitete sich in mir aus, verteilte sich in meinem ganzen Körper und meine Hände kribbelten. Ich war sauer, stinksauer auf mich. Was tust du da, Jake? Warum vertraust du ihm?
Unsere Schritte hallten im Raum wider. Mein Blick schweifte umher. Ein alter Holztisch war in der Mitte platziert. In der hintersten Ecke erkannte ich die Umrisse von einem Bett. Alles war voller Staub und Dreck und ich zog angewidert die Nase kraus.
Plötzlich hörte ich ein leises Knistern. Meine Hände wurden feucht und mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich drehte mich zu dem Alten um, doch der war nicht mehr da. Spurlos verschwunden. Ich schluckte. War klar, dass ich ihm nicht trauen konnte. Ich hätte eher auf meinen Verstand hören sollen, als auf meinen Bauch. Plötzlich fiel die Tür zu und Dunkelheit umhüllte mich. Ich versuchte Ruhe zu bewahren und trottete vorsichtig auf den Ausgang zu, zerrte an der Tür und versuchte sie aufzumachen. Erfolglos. Ein Heulen erklang, erfüllte den Raum und ließ mich zusammenzucken. Etwas Kaltes durchfuhr mich und ich spürte, wie sich mein Herz beschleunigte und zu zerspringen drohte. Ich hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür. "Aufmachen!", brüllte ich und warf mich mit meinem ganzen Körper gegen sie. "Ich will hier raus!" 
Das Heulen wurde lauter, so laut, dass ich nichts anderes mehr hören konnte. Ich schnappte nach Luft, presste mich gegen die Tür und schloss die Augen. Plötzlich packte mich etwas am Bein. "Nein!", ich trat wild um mich, aber dadurch wurde mein Bein bloß fester gepackt. 
"Jake!", wisperte eine Stimme, die mir unheimlich vertraut vorkam. "Jake, wir brauchen dich! Ich brauche dich!" 
Ich riss die Augen auf und wollte los brüllen, tat es aber doch nicht, sondern richtete mich langsam auf, um zu schauen, wer da gerade gesprochen hatte. Ich könnte in Ohnmacht fallen. "Vater?" 
"Jake!", die Stimme meines Vaters war voller Qualen, er klammerte sich an meinem Bein fest und ich spürte wie er zitterte. "Du musst uns befreien!" Ein Windstoß stieß ihn von mich. Kreischend wirbelte er zurück. Plötzlich blendete grelles rotes Licht und eine finstere Gestalt mit zwei spitzen Hörnern und einem breit grinsenden Mund erschien. Sie packte meinen Vater, der sich mit aller Kraft zu wehren versuchte. Das Licht wurde noch heller, sodass ich die Augen zukneifen musste und als ich sie wieder aufschlug, hatten sich beide in Luft aufgelöst. Mein Kopf schmerzte, mein Herz tobte. Was ist da gerade passiert?!

Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder eingekriegt und meine Gedanken geordnet hatte. Vielleicht war das alles auch gar nicht echt. Vielleicht befand ich mich gerade in einem schlimmen Albtraum. Vielleicht war mein Vater gar nicht tot. Und dann fing es schon wieder an. Meine Gedanken kreisten, tobten in meinem Kopf, sodass mir schwindelig wurde. Ich rieb mir gedankenverloren meine Stirn und erhob mich stöhnend auf die Beine. Ich griff nach der Türklinke und hätte aufjubeln können, als ich es schaffte, die Tür zu öffnen. Ich musste die Hand vor mein Gesicht halten, als ich aus der Hütte ins Sonnenlicht trat. Mein Magen war leer, das war das, was ich momentan am meisten spürte. Ich schaute mich nach dem alten Mann um, doch der war nirgends zu sehen. "Na super, und nun?", murmelte ich und lehnte mich an einen Baum. Naja, wenigstens regnete es nicht. In diesem Augenblick fühlte ich einen Regentropfen auf der Haut. Ich stöhnte auf und trat mit voller Wucht gegen den Baumstamm, worauf mich ein furchtbarer Schmerz durchfuhr. Noch ein Regentropfen. Und noch einer. Es fielen immer und immer mehr und ich sank seufzend zu Boden. Auf einmal erinnerte ich mich wieder an meinen Vater und an das Monster, das ihn mitgenommen hatte. Wir brauchen dich! Ich brauche dich! Die Sätze, die mein Vater gesprochen hatte, während er mein Bein umklammert hatte, schossen mir wieder durch den Kopf. 
Es regnete immer heftiger, ich war nass bis auf die Knochen. Ich krallte mich mit meinen Fingern in die Rinde des Baums. Schreckliche Angst um meinen Vater überwältigte mich. Als er noch lebte, litt er schon unter Qualen, und der Tod sollte einem Menschen eigentlich Ruhe und Frieden bescheren. War das bei meinem Vater nicht der Fall? 

Der Hunger nagte wie ein wildes Tier an mir, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt. Ich stand langsam und stöhnend auf und wäre vor Erschöpfung fast wieder zusammengebrochen. Aber ich biss die Zähne zusammen und blieb tapfer. Wachsam blickte ich mich um. Kein Haus weit und breit. Nur diese verrottete Holzhütte. Ich trottete mit schweren Beinen umher und fühlte mich wie ein Looser. Ein Versager, der einfach nichts auf die Reihe kriegte. Ich stellte mit Entsetzen fest, dass meine Mutter recht hatte. Ich war zu nichts zu gebrauchen. Plötzlich verschwand der Boden unter meinen Füßen und ich stolperte in die Tiefe. Ich hatte keine Ahnung was gerade mit mir geschah. Ich fiel immer tiefer, bis ich letztendlich am Grund ankam. Mein Kopf stieß gegen einen Felsen und ich hätte beinahe das Bewusstsein verloren. Schon wieder Finsternis. Egal wo ich hinschaute. Ich war in einer Höhle gelandet mit steilen, felsigen Wänden und einem harten Erdboden. Ja guuut und wie komme ich hier jetzt wieder raus?! Ich schnaubte verärgert und hätte vor Wut gegen die Wand treten können. Ließ es aber sein, da ich Angst hatte, die Höhle könnte einstürzen. 
"Hallo?", meiner Stimme war nicht anzuhören, wie sehr ich mich fürchtete. "Ist hier jemand?" 
Keine Antwort.
"Hey!", versuchte ich es erneut. 
Nichts. 
Ich ging vorsichtig durch die Düsternis und lauschte dem ununterbrochenen Tropfen von Wasser. Plötzlich rutschte ich aus, obwohl nichts im Weg war. Ich brach zusammen, mein Kopf krachte gegen die Felswand. 
"Aufpassen!", erklang eine Stimme, jemand warf sich auf mich und stieß mich beiseite, einen kurzen Augenblick danach prasselten riesige Steine herab und hauten größe Löcher in den Boden, dort wo ich vor wenigen Sekunden gelegen hatte. Ich schnappte erschrocken nach Luft. Neben mir konnte ich die Umrisse eines Mädchens erkennen. "Was war denn das gerade?", brummte ich und schüttelte mich. In meinem Kopf pulsierte es. 
"Ich habe dir das Leben gerettet. Wenn ich nicht gewesen wäre, wärst du von den Steinen zerquetscht worden", erklärte die Fremde ruhig. 
Ich sagte nichts mehr, lehnte mich nur gegen die Wand und fühlte, wie die Finsternis mich einhüllte und mitnahm. Aber selbst im Schlaf spürte ich den quälenden Hunger.

Als ich die Augen aufschlug war ich immer noch in dieser dunklen Höhle. Ich drehte den Kopf und schrie erschrocken auf, als ich das Gesicht des Mädchens erblickte, das mir hier unten begegnet war. "Was soll denn das?", murrte ich verärgert. "Lass mich in Ruhe! Was willst du überhaupt von mir?" 
Das Mädchen schaute mich mit schmalen Augen an. "Ich habe dir das Leben gerettet", sagte sie zum wiederholten Mal.
"Jaja, das hast du bereits gesagt", stöhnte ich genervt und versuchte mich aufzurappeln, was mir aber nicht richtig gelang. 
"Was suchst du hier unten eigentlich?", fragte es und betrachtete mich von oben bis unten. 
Ich antwortete nicht, sondern sah mich schweigend in der Höhle um. Was ist das für ein Ort? Naja, egal wo ich hier gelandet war, ich wollte unbedingt hier raus. Aber den Weg in die Freiheit werde ich alleine finden, dafür brauchte ich diese komische Göre nicht. Ich versuchte erneut aufzustehen und schaffte es schließlich. Ich wandte mich von der Unbekannten ab und ging langsam und etwas unsicher durch die Düsternis. Ich hatte das ungute Gefühl, dass außer dem Mädchen noch jemand hier unten war. Nach einer Weile gelangte ich an einen Eingang, der in einen anderen Gang führte. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen schritt ich weiter. Plötzlich sah ich am Ende des Gangs rotes Licht und kniff die Augen zusammen.
"Ich an deiner Stelle würde nicht weitergehen, sondern umdrehen und die Fliege machen" Das Mädchen war wieder aufgetaucht und stellte sich vor mich.
"Geh weg", knurrte ich und stieß sie beiseite.
"Ich meine es ernst", es schaute mich eindringlich an, doch ich ließ mich nicht beeinflussen, sondern ging einfach an ihr vorbei auf das rote Licht zu. 
"Ich habe dich gewarnt", hörte ich die Stimme des Mädchens hinter mir, doch ich ignorierte sie. Der rotleuchtende Schein zog mich an, wie ein Magnet und ich konnte nichts dagegen tun.
Und dann passierte es schließlich. Eine Gestalt erschien. Es war die, die meinen Vater mitgenommen hatte. Sie kam auf mich zu und erzeugte dabei die gruseligsten Töne, die ich je gehört hatte. Ich zeigte meine Angst nicht, das tat ich nie. Ich schaute die Gestalt einfach nur emotionslos an. 
"Ich habe deinen Vater", die Stimme der Kreatur tat in den Ohren weh. 
"Ach nee!", erwiderte ich wütend und zog die Augenbrauen vor Zorn runter. "Wusst ich nicht."
Das Wesen brüllte und kreischte und ich hielt mir die Ohren zu bei dem Lärm. Das war ja nicht auszuhalten!
"So redet man nicht mit dem Teufel!", polterte die Gestalt wutentbrannt, packte mich am Kragen und hob mich hoch in die Luft, schüttelte mich durch, sodass mir ganz schlecht wurde. "Hast du verstanden?"
"Ist ja schon gut...", brachte ich hervor. "Lässt du mich jetzt wieder runter?"
Das Gesicht des Teufels näherte sich meinem. Dann ließ er mich langsam wieder auf den Boden. "Ich mache dir ein Angebot.", seine Stimme war nun nicht mehr so polternd. "Ich entlasse deinen Vater, sodass er wieder zurück zu seinen Engelsfreunden kann und dafür bekomme ich dich."
Ich überlegte kurz. "Und du lässt meinen Vater dann wirklich frei?"
Der Teufel nickte.
Ich wollte gerade zustimmen, da erschien schon wieder dieses nervige Mädchen. "Du kommst jetzt nicht gerade gelegen!", knurrte ich sie an.
"Du darfst den Platz deines Vaters nicht einnehmen!", keuchte sie und packte mich am Arm. "Der Teufel würde deinen Vater sowieso nicht..."
"Sei leise!", zischte ich sie an. "Das ist immer noch meine Entscheidung!"
"Hör mir zu! Ich kenne eine andere Möglichkeit, wie..."
"Wird's bald?", brummte der Teufel ungeduldig. "Wenn du mir nicht gleich sofort deine Entscheidung mitteilst, werde ich gehen und deinen Vater behalten."
Ich atmete tief durch. Doch als ich den Mund öffnete, flossen die Worte unkontrolliert raus: "Ich nehme den Platz meines Vaters nicht ein. Du kannst ihn von mir aus behalten." Warum? Warum hatte ich das gesagt?
"So sei es!", nach diesen Worten löste sich der Teufel auf und das rote Licht verschwand mit ihm. Ich hatte meine Chance vergeudet. 






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